Hat Deutschland eine Verfassung oder ein Grundgesetz?

Warum haben wir keine Verfassung sondern ein Grundgesetz?

Deutschland hat zwar ein Grundgesetz, aber keine Verfassung im klassischen Sinne, aus mehreren historischen und rechtlichen Gründen:

1 . Historischer Kontext:

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der damit verbundenen Zerstörung und Spaltung Deutschlands war die Situation 1949 prekär.
Man wollte mit dem Grundgesetz bewusst ein Provisorium schaffen, um die deutsche Teilung nicht zu vertiefen und die Möglichkeit einer Wiedervereinigung offen zu halten.
Der Begriff „Verfassung“ mit seiner definitiven Bedeutung wurde daher vermieden, um den temporären Charakter zu betonen.

2. Rechtliche Aspekte:

Das Grundgesetz enthält in seinen Artikeln 146 und 147 einen Wiedervereinigungsartikel, der die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands mit den damaligen Ostgebieten beschreibt.
Diese Regelung, die auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit abzielte, wäre in einer „Verfassung“ problematisch gewesen, da diese in der Regel als endgültige Festlegung des Staatsgebiets verstanden wird.
Des Weiteren enthält das Grundgesetz einen Ewigkeitsklausel, Artikel 79 Absatz 3, die besagt, dass die Grundprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) unveränderlich sind.
Diese Klausel hat zur Folge, dass bestimmte Grundwerte des Grundgesetzes, wie die Grundrechte und die föderale Struktur, nicht abgeschafft werden können.

3. Sprachliche Feinheiten:

Obwohl der Begriff „Grundgesetz“ oft synonym mit „Verfassung“ verwendet wird, gibt es im Sprachgebrauch eine gewisse Nuance.
Das „Grundgesetz“ legt den Grundstein und die Prinzipien des Staates fest, während der Begriff „Verfassung“ die gesamte Rechtsordnung eines Landes umfasst.

Präamble Deutsches Grundgesetz von 1949 (Quelle Wikipedia)Wie lautet die Päambel des deutschen Grundgesetzes von 1949?

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk
in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern,
um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben,
kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

Präamble Deutsches Grundgesetz 1990 (Quelle Wikipedia)Wie lautet die Präambel nach der Vereinigung Deutschlands 1990?

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,

von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.

Fazit:

Obwohl Deutschland mit dem Grundgesetz faktisch eine vollständige und funktionierende Verfassung besitzt, behält es aus historischen und rechtlichen Gründen die Bezeichnung „Grundgesetz“ bei.

Dies unterstreicht den provisorischen Ursprung des Dokuments und die Hoffnung auf Wiedervereinigung, die am 03. Oktober 1990 glücklicherweise eingetreten ist.
Gleichzeitig wahrt der Begriff die rechtlichen Besonderheiten des Grundgesetzes, insbesondere die Ewigkeitsklausel und den Wiedervereinigungsartikel.

Welche weiteren Länder haben von keine Verfassung?

Heutzutage gibt es weltweit nur noch drei Staaten, die über keine kodifizierte Verfassung im eigentlichen Sinne verfügen:

  • Vereinigtes Königreich: Das Vereinigte Königreich regiert sich nach einem ungeschriebenen Verfassungsrecht, welches aus verschiedenen historischen Dokumenten, Gesetzen und Gewohnheitsrechten besteht.
  • Israel: Auch Israel hat ebenfalls keine formelle Verfassung, sondern basiert auf einer Reihe von Grundgesetzen, die im Laufe der Zeit verabschiedet wurden.
  • Neuseeland: Ähnlich wie das Vereinigte Königreich und Israel, stützt sich Neuseelands Regierungssystem auf ungeschriebene Verfassungsregeln und verfassungsrelevante Gesetze, die im Laufe der Geschichte des Landes entstanden sind.

Diese drei Länder haben zwar keine kodifizierte Verfassung im engeren Sinne, ihre jeweiligen Regierungssysteme beruhen dennoch auf fundamentalen Rechtsprinzipien und etablierten Institutionen, die die Machtbefugnisse der Regierung und die Rechte der Bürger definieren.

Neben diesen drei Staaten gibt es zusätzlich weitere Länder, in denen die Verfassung nur eine schwache Rolle spielt oder deren Umsetzung problematisch ist.

Zu diesen Ländern zählen beispielsweise:

  • Somalia: Die Existenz einer formellen Verfassung in Somalia ist aufgrund des anhaltenden Bürgerkriegs und der damit verbundenen politischen Instabilität fraglich.
  • Afghanistan: Auch in Afghanistan hat die Verfassung aufgrund der Taliban-Herrschaft und der prekären Sicherheitslage nur begrenzte Gültigkeit.

Wird eine Verfassung vom Volk gewählt?

In den meisten modernen Demokratien wird eine Verfassung nicht direkt vom Volk gewählt, sondern durch ein repräsentatives Gremium, z.B. eine Verfassungsversammlung oder ein Parlament, verabschiedet. (Komplexität, Legitimität, Stabilität)

Die einzigen Ausnahmen sind Irland (1937) und Norwegen (1814)

Zusätzliche Informationen: